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Wohnraum für den Wendehals
Nistkastenprojekt für einen ungewöhnlichen und bedrohten Specht läuft an
Der Wendehals ist die wohl ungewöhnlichste Spechtart unserer Region. Er trommelt nicht weit hörbar, zimmert keine eigenen Höhlen und verbringt rund die Hälfte des Jahres in den warmen Klimazonen des Mittelmeerraums, Nordafrikas oder – zumindest im Fall der osteuropäischen Population – sogar südlich der Sahara. Damit ist er der einzige Langstreckenzieher unter unseren Spechten.
Auch sein Verhalten ist bemerkenswert: Fühlt er sich bedroht, windet er seinen Hals schlangenartig hin und her – ein Abwehrmechanismus, der ihm seinen Namen eingebracht hat. Weniger exotisch sind dagegen seine Nahrungsgewohnheiten. Der Wendehals bevorzugt Ameisen, eine Vorliebe, die er mit anderen heimischen Spechten wie dem Grün-, Grau- und Schwarzspecht teilt. Dennoch ist keine dieser Arten in den letzten Jahrzehnten bei uns so selten geworden wie der Wendehals, der in der Roten Liste von Rheinland-Pfalz mittlerweile als "vom Aussterben bedroht" geführt wird.
Aufzeichnungen aus den 1980er-Jahren dokumentieren noch regelmäßige Vorkommen im Naturpark. Allein um die Städte Nassau und Lahnstein wurden jeweils mindestens drei Reviere gezählt1,2. Spätestens ab Mitte der 1980er-Jahre jedoch häuften sich Berichte über den Rückgang der Art in weiten Teilen des nördlichen Rheinland-Pfalz3,4,5,6.
Kaum als Specht zu erkennen: Der Wendehals. Bild: Andreas Trepte (www.avi-fauna.info)
Die Ursachen für den Rückgang dieser gut getarnten Vogelart sind vielschichtig. Der Wendehals benötigt halboffenes Gelände mit niedriger Vegetation und einem guten Angebot an Baumhöhlen – Bedingungen, wie sie früher in traditionell bewirtschafteten Streuobstwiesen rund um nahezu jede Siedlung im Naturpark zu finden waren. Das Gras unter den Obstbäumen wurde regelmäßig durch Beweidung oder Mahd kurzgehalten – ein entscheidender Faktor für den Wendehals, der seine Beute überwiegend am Boden erjagt. Mit seiner langen Zunge zieht er Ameiseneier und -larven aus den unterirdischen Nestkammern.
Mit dem Rückgang der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und dem Verschwinden der dörflichen Selbstversorgung verloren Streuobstwiesen zunehmend an Bedeutung. Obstbäume verschwanden, das darunter liegende Grünland wurde nicht mehr bewirtschaftet. Zur Brutzeit des Wendehalses im Mai und Juni steht das Gras heute vielerorts durchgehend knie- bis hüfthoch– ein unüberwindbares Hindernis bei der Nahrungssuche, wenn es auch für viele andere Arten durchaus förderlich ist, wenn spät gemäht wird.
Gleichzeitig verschwinden auch potenzielle Bruthöhlen. Aus obstbaulicher Sicht "überalterte" Bäume sind zwar ökologisch oftmals besonders wertvoll, da sie die meisten Höhlen bieten. Doch auch sie brechen früher oder später zusammen. Ohne regelmäßige Nachpflanzungen lässt das ökologische Potenzial einer Streuobstwiese auf Dauer nach.
Halboffene Landschaften sind die Heimat des Wendehalses: Streuobstwiese bei Misselberg.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, fördert der Naturpark Nassau seit Jahrzehnten die Pflege und den Erhalt von Streuobstwiesen. Dabei engagieren sich regelmäßig Bürgerinnen und Bürger für den Schutz dieser wertvollen Lebensräume. Ein Beispiel ist die „Gaaler Heide“ in Geilnau: Die großflächige, teils in Vergessenheit geratene Obstwiese wird derzeit schrittweise reaktiviert und ökologisch aufgewertet. Ein angepasstes Grünland-Management mit Mahd und Beweidung wurde eingeführt, was nicht nur der Pflanzen- und Insektenvielfalt fördert, sondern auch dem Wendehals zugutekommt.
Wie aber steht es aktuell um den ungewöhnlichen Specht? 2024 führte der Naturpark eine systematische Erfassung der Wendehalsvorkommen innerhalb seiner Grenzen durch. Dabei wurden historische Daten mit aktuellen Meldungen aus modernen Meldeplattformen abgeglichen, ehemalige Reviere überprüft und geeignete Streuobstflächen gezielt auf das Vorkommen der Art kartiert.
Das Ergebnis war ernüchternd: Nur wenige Reviere sind noch besetzt, etwa in den ausgedehnten Streuobstflächen bei Filsen am Rhein. Neue Reviervorkommen werden in unregelmäßigen Abständen gemeldet, erlöschen jedoch rasch wieder. Der letzte sichere Brutnachweis liegt bereits einige Jahre zurück und stammt aus dem Raum Singhofen. Grund genug, dem Wendehals etwas unter die Flügel zu greifen.
Manche der Gefährdungsursachen, beispielsweise die Risiken des Zugs in die Überwinterungsgebiete, lassen sich lokal nicht lösen. Die Grünlandnutzung in Streuobstwiesen wieder einzuführen wird teilweise bereits vorgenommen, ist aber ein langwieriger Prozess. Zusätzlich bleibt die Verbesserung des Bruthöhlenangebots, was in Unterfranken7.8 mit gutem Erfolg praktiziert wird. Das mag überraschen, da Wendehälse durchaus in der Lage sind, andere Vögel samt Gelege aus ihrer Höhle zu werfen und sie selbst zu beanspruchen. Dies gelingt ihnen jedoch offenbar nur bis zu einem gewissen Entwicklungsstand der Jungvögel. Besonders häufig werden Wendehälse daher in Nistkästen beobachtet, die erst kurz vor ihrer Rückkehr aus dem Winterquartier zugänglich gemacht wurden – dann nämlich, wenn die Konkurrenz aus Meisen und Staren bereits andere Quartiere bezogen hat.
Ressourcen schonen: Nistkastenbau aus Verpackungsholz
Die fertigen Kästen- besonderer Wert wurde auf den Schutz vor Nesträubern gelegt.
In diesem Sinne wurden 21 Nistkästen gebaut – speziell auf die Bedürfnisse des Wendehalses abgestimmt. Besonderer Wert wurde auf den Schutz vor Nesträubern wie Marder oder Waschbär gelegt: Die Kästen sind deutlich tiefer als herkömmliche Meisenkästen, besitzen gesicherte Klappen und einen Vorbau, der das Eindringen erschwert. Gefertigt wurden sie ausschließlich aus Restholz – ein Pluspunkt in Sachen Nachhaltigkeit.
Die Ausbringung erfolgte gezielt in Streuobstwiesen mit (wieder-)aufgenommener Grünlandnutzung, etwa in Geilnau, bei Kadenbach oder auf den Flächen der Stiftung Scheuern bei Misselberg. Auch Rohbodenstellen und natürlich das Vorhandensein von Ameisenvorkommen waren Auswahlkriterien.
Regelmäßige Kastenkontrollen in den kommenden Jahren sollen zeigen, ob die Nisthilfen auch bei uns einen Weg darstellen, die Bestände dieses außergewöhnlichen Vogels zu stabilisieren.
Wo Weidetiere den Unterwuchs niedrig halten profitiert der Wendehals. Tatkräftige Unterstützung beim Aufhängen der Kästen...
...erfolgte durch das GaLa-Team der Stiftung Scheuern...
...und Dietmar Runkel (Naturschutzbeauftragter Filsen).
Wendhalskästen dürfen ruhig etwas versteckter hängen.
Literatur
1) GNOR (1981): GNOR-AK Mittelrhein- Brutbericht 1981. Ornithologie und Naturschutz 1981 Jahresbericht Heft 3, zusammengestellt von Braun, M., p. 69.
2) GNOR (1982): GNOR-AK Mittelrhein- Brutbericht 1981. Ornithologie und Naturschutz 1982 Jahresbericht Heft 4, zusammengestellt von Braun, M., p. 67
3) Bammerlin, R., Braun, M., Fröhlich, C., Jönk, M. (1986): Ornithologischer Jahresbericht für den Regierungsbezirk Koblenz. Ornithologie und Naturschutz im Regierungsbezirk Koblenz, Heft 8, Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz e.V..
4) Bammerlin, R., Braun, M., Fröhlich, C., Jönk, M. (1990): Ornithologischer Jahresbericht für den Regierungsbezirk Koblenz. Fauna Flora Rheinland-Pfalz, Beiheft 1, Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz e.V., Landau, ISSN: 0934-7684
5) Kunz, A. & Simon, L. (1987): Die Vögel in Rheinland-Pfalz. Eine Überischt. Naturschutz und Ornithologie in Rheinland-Pfalz, Band 4, Nr. 3, p. 484.
6) Sander U. (1990): Ergebnisse einer zweijährigen Brutvogel-Rasterkartierung im Gebiet des Niederwesterwaldes und des Mittelrheinischen Beckenrandes. Fauna-Flora-Rheinland-Pfalz 5, p. 874. Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz e.V., Landau, ISSN: 0934-5213
7) Brünner, K., Rödl, Dr. T. (2017): Bestandsfördernde Maßnahmen für Wiedehopf und Wendehals in Nordbayern. Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Landesbundes für Vogelschutz in Bayern e.V., Hilpoltstein.
8) Dittmar, F. (2020): Forcierungsmöglichkeiten für den Bruterfolg beim Wendehals. Jahrbuch der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft in Unterfranken im Naturwissenschaftlichen Verein Würzburg e. V., Region 2, p. 214 – 220.